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Schmelzender Eispanzer könnte Abfälle aus dem kalten Krieg freilegen

Geschrieben von Dr. Michael Wenger am . Veröffentlicht in Geschichte.

Der Klimawandel droht Sondermüll aus einem verlassenen Lager freizusetzen, das einst unter dem grönländischen Eisschild begraben gedacht war. Das Lager Camp Century der US-Streitkräfte wurde 1959 unter dem Eispanzer gebaut und war als strenggeheime Testanlage für den Einsatz von Kernwaffen während des Kalten Krieges eingesetzt worden. Nachdem das Camp 1967 ausser Dienst gestellt wurde, wurden sowohl Infrastruktur wie auch Abfälle zurückgelassen.

Camp Century wurde unter dem Eispanzer Grönlands erbaut, um es vor direkter Beobachtung zu schützen. Doch seine Lebensdauer war kürzer als angenommen und das Camp wurde wieder 1967 verlassen.
Camp Century wurde unter dem Eispanzer Grönlands erbaut, um es vor direkter Beobachtung zu schützen. Doch seine Lebensdauer war kürzer als angenommen und das Camp wurde wieder 1967 verlassen.

„Vor zwei Generationen haben die Menschen Abfall in verschiedenen Regionen der Welt deponiert und nun verändert der Klimawandel diese Orte,“ erklärt William Colgan, ein Klima- und Gletscherwissenschaftler der York Universität und Hauptautor einer Studie. „Es handelt sich um eine neue Herausforderung durch den Klimawandel, die wir nicht aus den Augen lassen dürfen.“ Der Klimawandel hat die Arktis stärker erwärmt als irgendeine andere Region der Erde und die Resultate der Studie zeigen, dass die Eisdecke, die Camp Century überdeckt, bis zum Ende dieses Jahrhunderts wegschmelzen. Sollte das Eis schmelzen, könnten die übriggebliebenen biologischen, chemischen und radioaktiven Abfälle wieder in die Umwelt gelangen und die umliegenden Ökosysteme verschmutzen, gemäss der Studie. Die Abfälle würden nicht ewig im Eis eingeschlossen sein, wie es sowohl die USA wie auch Dänemark einst gedacht hatten, als das Camp verlassen wurde. Eine Abmachung, wer für die Reinigung und den Abtransport verantwortlich sein wird, könnte auch zu einem politischen Streit ausarten, der vorher nicht bedacht wurde, fügt Colgan an.

In seiner Zeit war Camp Century eines der grössten militärischen Anlagen in Grönland. Bild: Getty Images
In seiner Zeit war Camp Century eines der grössten militärischen Anlagen in Grönland. Bild: Getty Images

Das Forschungsteam übernahm die Bestandesaufnahme  über die Abfälle von Camp Century und verband sie mit Klimawandelmodellen. Die Forscher analysierten auch historische US-Armeeaufzeichnungen um zu bestimmen, wo und wie tief die Abfälle vergraben worden waren und wie stark sich der Eispanzer seit den 1960er Jahren bewegt hat. Sie fanden heraus, dass die Abfälle eine Fläche von 55 Fussballfeldern umfassen und rund 200‘000 Liter Diesel und etwa 240‘000 Liter Wasser inkl. Abwasser enthalten. Aufgrund der Kenntnisse um die verwendeten Baumaterialien aus dieser Zeit, vermuten die Forscher, dass die Stelle auch Schadstoffe wie PCBs, die auch der menschlichen Gesundheit schaden und unbekannte Mengen von schwach-radioaktiven Kühlmitteln vom nuklearen Energiegenerator beinhalten würde. Sollte das Eis schmelzen, können diese Stoffe in den Ozean gelangen, wo sie die Meeresökosysteme schädigen können. „Als wir die Klimasimulationen betrachteten, zeigten sie, dass statt regelmässigem Schneefall die Stelle des Camps von 2090 an ständig schmelzen würde,“ erklärt Colgan weiter. „Von dem Moment an, an dem der Schneefall weniger wird als die Schmelze, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Abfälle hervortreten werden; es wird unumkehrbar.“

Die Karte zeigt das Camp unter dem Eis. Besonders die Materialien, die für den Bau des Camps verwendet worden waren, könnten jetzt zu Umweltschäden führen.
Die Karte zeigt das Camp unter dem Eis. Besonders die Materialien, die für den Bau des Camps verwendet worden waren, könnten jetzt zu Umweltschäden führen.

Die Annahme, dass Abfälle für immer unter dem Eis vergraben würden, seien unrealistisch, meint James White, ein Klimaforscher der Universität von Colorado in Boulder. „Die Frage ist, ob er erst in hunderten von Jahren oder tausenden von Jahren wieder zutage treten wird oder sogar in zehntausenden von Jahren,“ sagt White. „Dieses Zeug würde sowieso irgendwann hervortreten. Doch was der Klimawandel getan hat, war das Gaspedal durchzutreten und zu sagen: Er wird schneller herauskommen, als ihr denkt.“ Statt jetzt mit einer Sanierung zu beginnen, erklärt Colgan, „entsteht jetzt eine Wartesituation bis der Eispanzer beinahe soweit geschmolzen sein wird, dass die Abfälle exponiert sein werden und man über eine Sanierung sprechen kann.“ Aber die Studie erhebt auch die Frage, wer für die Aufräumarbeiten verantwortlich sein wird. Die Auswirkungen des Klimawandels auf den politisch uneindeutigen zurückgelassenen Abfall wurden nicht bedacht, als das Camp gebaut wurde. Das internationale Recht über die Verantwortlichkeit zur Vermeidung von zukünftigen Sondermüll ist klar, aber uneindeutig, wer für den bereits entstandenen Müll verantwortlich ist, erklärt Jessica Green, eine Politikwissenschaftlerin mit Spezialisierung in internationalem Umweltrecht an der NYU. Sie sagt, dass obwohl Camp Century eine US-Einrichtung war, liegt sie auf dänischem Boden und obwohl Grönland dänisches Hoheitsgebiet ist, ist Grönland autonom und selbstregiert. Keine leichte Ausganglage.

Quelle: York University